IZ: Es geht also um Psychologie?
Volckens: Diesen Faktor sollte man nie unterschätzen. Viele Manager tun sich meiner
Erfahrung nach extrem schwer damit, Entscheidungen, die sie gestern getroffen haben,
heute zu revidieren. Sie fürchten, sich damit angreifbar zu machen, und ducken sich deshalb
lieber weg, verdrängen das Problem. Dabei zeigen die Erfahrungen, dass ernste Fehler nicht
vor Beginn der Krise, sondern meistens erst im Umgang mit ihr gemacht werden.
Conradi: Das klassische Problem des „eskalierenden Commitments“. Aber es kommt noch
etwas hinzu: Gute Kaufleute müssen immer auch etwas optimistischer sein als der Rest der
Welt. Denn es braucht eine Prise Optimismus, um das unternehmerische Wagnis
einzugehen. Und ja – das Wahrhaben der Realität kann unangenehm sein. Krisengespräche
mit Banken sind kein Vergnügen. Es wird nur noch unangenehmer, wenn man ihnen aus
dem Weg geht.
IZ: Sie beide haben schon mehrere Immobilienzyklen mit Firmenpleiten erlebt, was macht
den aktuellen Zyklus besonders?
Volckens: In der Vergangenheit konnte man bei Unternehmen, die in Schwierigkeiten
gerieten, über eine längere Zeit hinweg eine krisenhafte Zuspitzung der Lage beobachten. Es
ging sozusagen Schritt für Schritt bergab. Diesmal überrascht mich, wie Insolvenzen quasi
aus heiterem Himmel verkündet werden. Möglicherweise hat die Führung in diesem Fällen
zu lange auf bessere Zeiten gehofft, bis die Firma dann insolvenzreif war.
IZ: Sprechen wir von Managementversagen?
Volckens: Manchmal ist es in der Tat nicht das Geschäftsmodell, das Firmen in die
Insolvenz treibt, sondern dass die Risiken, die mit dem Geschäftsmodell verbunden sind, zu
lange Zeit nicht ausreichend berücksichtigt, adressiert und kommuniziert wurden – nach
innen im Unternehmen und nach außen in den Markt. In der Insolvenz kann es für das
Management zum Problem werden, wenn es sich vorher nicht ausreichend mit der
Risikotragfähigkeit des Unternehmens beschäftigt hat. Der Insolvenzverwalter prüft
nämlich, ob die Verantwortlichen dazu in Haftung genommen werden können. Umso
wichtiger ist es, dass sich Manager jetzt fragen: Wo könnte mein Boot Leck schlagen, welche
Möglichkeiten bleiben mir, die Leckage zu vermeiden, und wie viel Zeit habe ich dafür noch?
Ganz wichtig ist es, die Antworten auf diese Fragen auch sauber zu dokumentieren, denn
darauf kommt es später an.
Conradi: Vorstände und Geschäftsführer haben eine klare Verpflichtung, fortlaufend über
Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können.
Erkennen sie solche Entwicklungen, müssen sie rasch geeignete Gegenmaßnahmen einleiten
und dem Aufsichtsrat unverzüglich Bericht erstatten. Wer das nicht tut, riskiert die
persönliche Haftung.
IZ: Welche Faktoren wirken sich besonders insolvenzgefährdend aus?
Volckens: Eine spannende Frage. Im momentanen Umfeld steigen überall die Risiken stark
an, sodass viele Geschäftsmodelle an ihre Grenzen stoßen. In solchen Zeiten zählt es zu den
wichtigsten Leistungen des Managements, zu hinterfragen, ob ihr Betrieb noch ausreichend
resilient ist. Viele Firmen tun das noch nicht. Und diese sind es häufig dann auch, die in
existenzielle Krisen geraten.
IZ: Wenn Immobilienfirmen Gebäude und Grundstücke besitzen – das sind sehr handfeste,
theoretisch wertstabile Assets im Vergleich zu manch anderen Industrien, die vergänglichere
Güter oder Dienstleistungen anbieten. Kann das einen Vorteil bringen?
Volckens: Meiner Meinung nach sind Immobilienfirmen sogar schwerer zu restrukturieren
als Unternehmen anderer Branchen. Denn mit dem Grundstückskauf und dessen
Finanzierung werden alle künftigen Probleme quasi ab Tag eins eingeloggt. Danach hat das
Management keine Möglichkeit, kurzfristige finanzielle Entlastungseffekte, etwa durch einen
massiven Personalabbau, zu erzeugen. In der momentanen schwierigen Marktphase wäre es
für den Werterhalt des Firmenvermögens auch nicht förderlich, wenn im Zuge von
Insolvenzen massenhaft Immobilien verkauft würden. Einen Vorteil haben
Immobilienfirmen aber letztlich doch: Die Zahl der Gläubiger ist in der Regel überschaubar,
anders als im produzierenden Gewerbe, wo Sie es mit einer Vielzahl von Lieferanten und
Kunden zu tun haben. Im Immobiliengeschäft sind die Hauptgläubiger Finanzierer, die sich
vergleichsweise einfach organisieren lassen. Dies gilt selbst für Anleihegläubiger, die über
einen gemeinsamen Vertreter organisiert werden können.
Conradi: Es ist wesentlich sinnvoller, wenn das Management nicht darauf wartet, dass sich
seine Gläubiger organisieren, sondern frühzeitig selbst aktiv auf die Finanzierer zugeht und
über seine Probleme spricht. Den Kopf in den Sand zu stecken wäre das Dümmste, was man
tun kann. Das Management sollte stattdessen gute Sanierungsvorschläge entwickeln und die
Gläubiger darauf hinweisen, dass für sie nur sehr wenig übrigbleiben wird, wenn jetzt im
Rahmen einer Insolvenz alles verkauft werden müsste.
IZ: Verhalten sich denn alle Finanzgläubiger ähnlich oder gibt es Unterschiede?
Volckens: Meiner Beobachtung nach verhalten sich viele professionelle, internationale
Kapitalsammelstellen und Investoren wesentlich proaktiver als manche deutsche
institutionelle Investoren – obwohl alle Gruppen vom Problem gleichermaßen betroffen
sind. Ich wundere mich über die große Ruhe unter einigen deutschen Institutionellen, die
gerade in der Phase der Null- und Minuszinsen viele – heute kritische –
Immobilienfinanzierungen ausgereicht haben. An ihnen können sich die Manager von
Immobilienfirmen leider ein Beispiel nehmen, wie man es nicht machen sollte.
IZ: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Monika Leykam.